Leonard Bernstein (1918-1990):
Entstehungszeit: | 1971-74 |
Uraufführung: | 16. Mai 1974 in New York (State Theatre) Choreographie: Jerome Robbins Bühnenbild: Rouben Ter-Aruntunian Kostüme: Patricia Zipprodt Formation: New York City Ballet Ausführende: Patricia McBride – Helgi Thomasson |
Besetzung: | Orchester |
Spieldauer: | ca. 45 Minuten |
Bemerkung: | Für den Konzertsaal hat Bernstein das Volumen des Balletts in zwei Suiten aufgeteilt. |
Art: | Ballettmusik in drei Teilen |
Libretto: | Leonard Bernstein und Jerome Robbins nach dem Drama von Shlomo Anski (1863-1920) |
David und Jonathan: | zwei Freunde |
Channon und Lea: | ihre Kinder |
Weitere: | Rabbiner und Hochzeitsgäste, ein Exorzist |
Die beiden seelisch eng miteinander verbundenen jungen Männer David und Jonathan besiegeln ihre Freundschaft durch ein Gelöbnis. Sie wollen einen gemeinsamen Stammbaum errichten. Falls der eine einen Sohn und der andere eine Tochter zeugen wird, sollen diese im heiratsfähigen Alter eine eheliche Verbindung eingehen. Die Partien der beiden Freunde sind im Ballett vokal unterlegt.
Die Natur erfüllt ihre Wünsche - David bekommt einen Sohn, den er Channon nennt und Jonathan nennt seine Tochter Lea. Die Kinder wissen von der Abmachung der Eltern nichts, finden aber auf der Basis von Liebe und Sympathie zueinander. Während die Eltern von Lea es zu Vermögen bringen, lebt Channon in Armut. Von ihrer Mutter beeinflusst, sieht Lea ein, dass eine Heirat mit Channon des Standesunterschiedes wegen nicht opportun ist. Die Mutter wählt einen Bräutigam, der ihr genehm und vermögend ist. Der Vater Channons ist inzwischen gestorben, und das Gelöbnis ist vollkommen in Vergessenheit geraten.
Channon ist grenzenlos enttäuscht, dass er Lea aus wirtschaftlichen Erwägungen nicht bekommen soll, obwohl beide sich von Kindheit an zueinander hingezogen fühlen. Das Feld wird er nicht räumen, und in seiner Verzweiflung wendet er sich den Mächten der Finsternis zu, welche die Erfüllung seiner Wünsche durchsetzen sollen. Er beschwört die mystischen Kräfte der verbotenen Kabbala, geht dabei aber ohne eingehende Kenntnis der Formeln ungeschickt vor. Er verliert die Kontrolle über die Mächte, die er entfesselt hat. Der Anstrengung nicht gewachsen, verliert er sein Leben.
Nun ist Channon ein Dybbuk und macht von der Möglichkeit Gebrauch, in Leas Körper einzutreten und ihre Seele in Besitz zu nehmen. Das Mädchen wird von ihm beherrscht, und durch seine Stimme macht er sich der Umwelt bemerkbar. Bei der Hochzeit Leas ist er zugegen, doch die Rabbiner haben Vorsorge getroffen und einen Exorzisten bestellt.
Dieser ist seiner Aufgabe, den Dybbuk zu vertreiben, nicht gewachsen, denn Channon behauptet seinen durch das Gelöbnis der Väter zementierten Anspruch und will nicht ausziehen. Der Exorzist verschärft seine Maßnahmen, was Lea physisch nicht durchsteht. Das Leben entflieht ihrem Körper, und als Dybbuk miteinander vereint finden beide jenseits gesellschaftlicher Konventionen ihren Frieden.
Einen Dybbuk sollte man nicht mit einem Zombie verwechseln. Der erste ist der ruhelose Geist eines verstorbenen Menschen, während der andere nicht leben und nicht sterben kann. In Ermangelung eines Körpers, den er benötigt, um handlungsfähig zu sein, fährt der Dybbuk in einen lebenden Menschen ein und setzt dessen Identität schachmatt. Der ungebetene Gast richtet sich in seinem Innern häuslich ein und spricht mit seiner ungewohnten Stimme. Somit ist leicht zu erkennen, wenn eine Person nicht mehr sie selbst ist. Es bietet sich die Möglichkeit, den Fremdling durch einen Exorzismus zu vertreiben. Das will aber gekonnt sein. Wer sich mit Schwarzer Magie und den Mysterien der Kabbala nicht richtig auskennt, hat schlechte Karten und sollte besser die Finger von dieser Übung lassen. In der Regel lassen die Geister der Finsternis sich nichts gefallen, und es kommt zum Kampf. Bei dieser Prozedur gibt der Lebende in den meisten Fällen seinen Geist auf und wird selbst zum Dybbuk.
Das Ballett „Dybbuk“ ist Leonard Bernsteins eindringlichstes Werk. Zu Lebzeiten bevorzugt als Dirigent gefragt, wird sein Ruhm als Komponist die Zeiten überdauern. Während die meisten amerikanischen Tonschöpfer der Gegenwart eine konservative Sprache vorziehen, versteht es Bernstein, dem Orchester Dissonanzen und Farben zu entlocken, die überraschen. Sie fordern die Aufmerksamkeit des Hörers, der völlig unvorbereitet die ungewohnten Klänge genießt und sich emotional stark angesprochen fühlt. Die meisten seiner Werke haben ein literarisches Programm, die Glauben und Weltanschauung des Komponisten widerspiegeln.
Letzte Änderung am 22.12.2016
Beitrag von Engelbert Hellen