Venezianische Feste
Entstehungszeit: | 1710 |
Uraufführung: | 17. Juni 1710 in Paris (Académie Royale de Musique de Danse) Choreographie: Louis Pécourt |
Besetzung: | Singstimmen und Orchester |
Erstdruck: | Paris: J.-B. Christophe Ballard, 1731 |
Verlag: | Paris: Heugel, 1972 |
Art: | Ballett in fünf Akten und einem Prolog |
Libretto: | Antoine Danchet |
Sprache: | französisch |
Ort: | Venedig |
In diesem Ballett hat es André Campra - seinen Absichten getreu - vermieden, die antike Götterwelt auf die Bühne zu bringen. Doch Zwietracht muss sein, woher soll die Spannung sonst kommen, wenn alle lieb zueinander sind? Also, zwei Allegorien, ebenfalls unsterblich, ebenfalls machthungrig, ringen miteinander, wer die Herrschaft über die Stadt Venedig am erfolgreichsten ausübt. Beide mögen sich nicht leiden und erfreuen sich einer Erbfeindschaft, kommen aber ohne einander nicht aus. Die Kontrahenten fühlen sich genötigt, ihren Anspruch zu begründen. Schreiten wir also zur Beweisaufnahme! Nein, noch nicht, denn zuerst kommen die Akrobaten an die Reihe und zeigen ihre Kunst, um das Publikum in eine gelassene Stimmung zu bringen und urteilsfreudig zu machen. Wir wollen das Resultat gleich vorweg nehmen, der Wahn triumphiert über die Stadt Venedig. Aber wie kann man ein solches Urteil ernst nehmen, wenn etwas völlig anderes verhandelt wurde als das, was auf der Tagesordnung gestanden ist?
Fassen wir den ersten bis fünften Akt zusammen, nachdem im Prolog das Meiste schon gesagt wurde. Alles beginnt mit dem großen Fest auf dem Wasser. Die Gemälde der großen Meister geben dem Publikum von heute einen Überblick, wie es bei der Regatta zugegangen sein mag. Der Karneval von Venedig mit seinen phantasievollen Masken wird auch in heutiger Zeit noch so nachgestellt wie er einmal stattfand, als die glorreiche Republik noch die Königin der Meere war. Im dritten Akt lesen die Wahrsagerinnen auf dem Markusplatz die Zukunft aus der Hand, während der vierte Akt der Schauspielkunst gewidmet ist. Gesungen wird in dem „Opéra-ballet“ wenig, getanzt immer.
Das Publikum ist geneigt, in der Vernunft die Überlegenheit zu sehen, aber den Spaß bringt schließlich doch der irre Wahnsinn. Der fünfte Akt hat nämlich den Charakter eines Epilogs, in dem der irre Wahnsinn seinen Triumph feiert. André Campra konnte aus dem vollen Schöpfen, was die Fülle der Dekoration und die Pracht der Kostüme anbelangt, und hat es bestimmt auch getan. Das Reiseziel Venedig fasziniert heute noch genau so wie damals. Die Wasserspiele und der Karneval sind nicht zur Historie erstarrt, und der Wahnsinn regiert, wenn für den Schutz der Bausubstanz zu wenig getan wird, nach wie vor.
Letzte Änderung am 3.4.2008
Beitrag von Engelbert Hellen