Riccardo Drigo (1846-1930):

Diane et Actéon

deutsch Diana und Acteon / englisch Diane and Acteon

Allgemeine Angaben zum Ballett

Entstehungszeit: 1903 ?
Besetzung: Orchester
Spieldauer: ca. 10 Minuten

Personen der Handlung

Diana: Göttin des Mondes und der Jagd
Acteon: ein Jäger
Weitere: Gefährtinnen der Diana

Beschreibung

Riccardo Drigo verließ schon in jungen Jahren seine Geburtsstadt Padua und fand seine künstlerische Heimat in Russland. Als Dirigent und Komponist ließ er sich in St. Petersburg nieder und geriet in den Dunstkreis des „Mächtigen Häufleins“ sowie in die Nähe von Peter Tschaikowski und seines Leibchoreographen Marius Petipa. Des Italieners große Leidenschaft gehörte dem Ballett. Er schuf fünf eigene Werke dieser Gattung und arrangierte die Musik fremder Tonsetzer, was das Zeug hielt. Oft dirigierte er „Schwanensee“ und „Dornröschen“, blieb aber als Komponist eigenständig und wurde kein Epigone Tschaikowskis. Er hatte es auch nicht nötig, Ludwig Minkus oder seinen Landsmann Cesare Pugni zu kopieren - dafür war das eigene schöpferische Potenzial zu hoch angesetzt. Vergleiche mit der parfümierten Süße der Musik Massenets böten sich an, doch wo Massenet versucht, sich sanft einzuschmeicheln, schäumt Drigos Temperament über. Acteons Solo, eingebettet in den Pas de deux mit Diana, ist jedes Mal ein Sturmangriff auf das Gemüt und die musikalische Hingabe des Hörers.

Was ist aus der Walzerseligkeit Drigos geworden? Im Gegensatz zu Massenet hat die Musikgeschichte bis in die Gegenwart hinein ihr hartes Urteil gesprochen. Man weiß nicht einmal mehr, ob das Ballett „Diana und Acteon“ jemals fertiggestellt wurde. Über die Daten einer Uraufführung hüllt die Musikgeschichte sich in Schweigen, über Bühnenausstattung und Choreographie gibt es keine Aufzeichnungen. Als Appetithäppchen gefragt, ist das Fragment möglicherweise in Ballettmusiken fremder Musiker aufgegangen. Unwillkürlich denkt man an Pugnis „La Esmeralda“, obwohl der literarische Hintergrund überhaupt nicht passt. Das macht aber nichts, denn in Fragen der Werktreue war man schon immer unbekümmert.

Trotzdem soll kurz angedeutet werden, welche Bewandtnis es mit den mythologischen Akteuren hatte. Wie aus anderen Bühnenwerken bekannt, befasst sich die Göttin Diana nicht nur mit der Jagd, sondern spielt auch als Hüterin der Keuschheit eine Rolle. Ihren Gefährtinnen hat sie verboten, Kontakt mit Mitgliedern des anderen Geschlechts aufzunehmen, andernfalls drohen heftige Sanktionen. Nun will es das Schicksal, dass der Jäger Acteon sich nach der Jagd im Wald verläuft und ausgerechnet an die Quelle gerät, in der Diana mit ihren Gespielinnen badet. Der Spanner wird von der Mädchengesellschaft aufgegriffen und ihrer Herrin vorgeführt. Diese verliebt sich unverzüglich in den stattlichen Jäger und tanzt einen Pas de deux mit ihm. Exakt dieser Teil des Balletts ist zur Freude der Nachwelt über die vorhandene Partitur überliefert. Die Bedrängte trippelt weg, jedoch holt Acteon sie immer wieder mit seinen kraftvollen Sprüngen ein, umschließt sie mit seinen Armen oder schwingt sie durch die Luft. Die Göttin, dem unverhofften Partner sofort leidenschaftlich zugetan, ist ratlos, wie sie reagieren soll. Es kann nicht angehen, dass sie selbst Liebesfreuden akzeptiert, die sie bei ihren Gefährtinnen unter Strafe stellt. Also muss Acteon trotz Protest und dem Argument, nur aus Versehen Diana beim Baden nackt gesehen zu haben, ins Verderben gestürzt werden. Wie leicht könnte es geschehen, dass Acteon sein Erlebnis ausplaudert. Der gute Ruf einer keuschen Göttin wäre dann zum Hades. Also wird gehandelt. Den erwartungsvollen Jüngling verwandelt die Unbesonnene in einen Hirsch und lässt ihn seines Weges laufen. Die Jagdgesellschaft erkennt den Verwandelten nicht und von den eigenen Hunden wird Acteon zerrissen. Auf der Bühne kommt es zu diesem Unglück aber nicht, weil das Finale entweder verloren ist oder nie komponiert wurde.


Letzte Änderung am 6.7.2009
Beitrag von Engelbert Hellen