Der Wolf
Entstehungszeit: | 1953 |
Uraufführung: | 17. März 1953 Théâtre de l'Empire, Paris Choreographie: Roland Petit Ausstattung: Jean Carzou Formation: Compagnie des Ballets de Paris Ausführende: Violette Verdy, Claire Sombert, Roland Petit, George Reich, J.B. Lemoine |
Besetzung: | Orchester |
Erstdruck: | Paris: Ricordi, 1954 |
Art: | Ballett in einem Akt |
Libretto: | Jean Anouih und George Neveux |
Der Scharlatan | |
Die Zigeunerin | |
Das Ehepaar | |
Die Dorfbewohner |
In der Dorfkirche einer kleinen französischen Ortschaft heiratet ein junges Paar. Das Schicksal hat vorgesehen, die Verbindung durch schwere Erschütterungen auf die Probe zu stellen.
Ein Scharlatan hat die Fähigkeit, Menschen in Tiere zu verwandeln und macht davon Gebrauch. Seine Assistentin ist ein verführerisches Zigeunermädchen, das ebenfalls mit diabolischen Fähigkeiten ausgestattet ist. Mit ihrer Hilfe lockt er den Mann von seiner Frau fort und verwandelt sein Wesen - nicht seine äußere Erscheinung - in einen Wolf.
Die Frau ist erfreut, dass der Mann nach einiger Zeit zu ihr zurückfindet, und verzeiht ihm sein unkorrektes Handeln. Die Mitteilung des Gauklers, ihren Mann in ein Tier verwandelt zu haben, stößt auf Unglauben. Im Laufe der nächsten Wochen stellt sie aber fest, dass das Wesen ihres Mannes die Attribute eines Wolfs angenommen hat. Sie fürchtet sich nicht und erkennt die neuen Vorteile.
Tugenden, die der Mensch nicht hat, findet sie nun bei ihm. Er ist mutig und stark, und er liebt leidenschaftlich, wie Menschen nicht zu lieben wissen. Wölfe sind treu bis in den Tod, erinnert sie sich ihrer zoologischen Kenntnisse. Den Dorfbewohnern bleibt es nicht verborgen, dass ein fremdartiges Wesen unter ihnen lebt. Es ist ihnen suspekt, und die Furcht vor dem Unbekannten weckt in ihnen Aggressionen. Man schließt sich zusammen und bewaffnet sich mit Äxten und Sensen, um den Unglücklichen zu jagen. Die Frau hält treu zu ihrem Mann und versucht zu argumentieren. Die Bauern sind ihren Ausführungen nicht zugänglich. Angst vernebelt ihre Sinne und zerstört alle Vernunft. Die Außenseiter werden totgeschlagen!
Der berühmte französische Dramatiker Jean Anouih benutzt ein drastisches Gleichnis, um das Phänomen der Massenhysterie darzustellen. Sobald ein Mitbürger nicht mehr als „wesengleich“ wahrgenommen wird, ist er der Verfolgung ausgesetzt. Die Triebfeder des Handelns ist eine tierische Angst vor dem Unbekannten. Kann man eine Gefahr nicht mehr einschätzen, besteht die Möglichkeit, Schaden zu nehmen. Um diesen abzuwenden, erstickt jedes Gefühl der Menschlichkeit. Die Selbstbehauptung um jeden Preis ist ein Urinstinkt des Menschen, seine tierischen Gelüste und der Drang zum Töten ebenfalls.
Aus dieser Sicht sprengt das Ballett den Rahmen oberflächlichen Geplänkels, erschüttert und verleitet zu tiefgehender philosophischer Betrachtung.
Letzte Änderung am 13.4.2007
Beitrag von Engelbert Hellen