Die Schäferin und der Schornsteinfeger / The Sheperdess and the Chimney-Sweep
Entstehungszeit: | 1900 |
Uraufführung: | März 1900 in Kopenhagen (Casino-Theater) |
Besetzung: | Sprecher und Orchester |
Spieldauer: | ca. 27 Minuten |
Erstdruck: | Leipzig und Kopenhagen: Wilhelm Hansen, 1901 |
Bemerkung: | Die Rezitative, die den einzelnen Akten vorangestellt sind, lassen den Besucher die Poesie des Märchens von Hans Christian Andersen in vollem Umfang genießen und sind gleichzeitig eine wertvolle Stütze, um die Szenen des Balletts im Detail zu begreifen. „Hyrdinden og Skorstensfejeren“ ist das erste Ballett von fünf, welche der dänische Komponist sizilianischer Herkunft schuf. Es verzeichnet an dänischen Bühnen anhaltende Erfolge. |
Art: | Ballett für Orchester und einen Erzähler in fünf Bildern |
Libretto: | August Enna in Zusammenarbeit mit P. A. Rosenberg nach dem gleichnamigen Märchen von Hans Christian Andersen |
Erstes Bild: PÅ BORDET - AUF DEM SPIND
Hin und wieder von ein bisschen Musik untermalt, gibt der dänisch sprechende Erzähler eine kleine Einführung von der Geringfügigkeit, die im ersten Bild in Szene gesetzt wird. Zunächst berichtet er von einem altmodischen Spind, der im Laufe der Zeit ganz schwarz geworden ist. Er stammte noch aus Großmutters Zeiten, steht in der guten Stube und ist mit Schnitzwerk völlig überdeckt. Die Schnörkel bestehen aus Blattwerk und Blumengirlanden. Auffällig sind die kleinen Hirschköpfe mit ihren Geweihen, die überall hervorlugen.
Mitten auf dem Tisch steht ein Mann, der ein wenig grotesk wirkt, weil er krumme Beine hat und ein paar Hörner seine Stirn auszeichnen. Die Kinder bezeichnen ihn scherzhaft als Generalkriegsdienstbefehlshaber, weil seine Miene bitterernst ist, er aber dauernd lacht. Er kann es nicht lassen, ständig auf den Tisch herabzustarren, der vor dem Spind aufgebaut ist.
Auf diesem steht eine zierliche kleine Hirtin aus Porzellan. Die niedlichen Schuhe sind vergoldet und der Rock ist mit einer Rose aufgesteckt. Ein goldener Hut und ein Hirtenstab vervollständigen den Liebreiz der Erscheinung. Neben der Hirtin steht ein kleiner Schornsteinfeger, natürlich kohlrabenschwarz und ebenfalls aus Porzellan gearbeitet. Das Kerlchen ist grazil gebaut, dass man es trotz der schwarzen Bemalung durchaus für einen Prinzen halten könnte. Eine kleine Leiter trägt er über der Schulter. Die beiden jungen Leute sind aus dem gleichen Material gearbeitet und zerbrechlich, aber niedlich anzuschauen. Könnte es nicht gut sein, dass sie miteinander verlobt sind?
Zweites Bild: DEN GAMLE KINESER - DER ALTE CHINESE
Neben dem zierlichen Pärchen steht noch eine weitere Figur, die aber von Gestalt wesentlich größer ist. Sie stellt einen alten Chinesen dar, der sich einbildet, der Großvater der kleinen Schäferin zu sein; er kann es allerdings nicht beweisen. Er denkt, dass er über das Mädchen bestimmen kann und hat als Ehemann für sie den bocksbeinigen Kriegsdienstbefehlshaber ausgesucht. Aus Mahagoniholz geschnitzt ist der Mandarin stolz auf seine edle Abkunft und hat die Vorstellung, dass das ganze Silberzeug in der Vitrine dem General gehört, weil er es im Krieg erbeutet hat. Die Hirtin will mit beiden nichts zu tun haben, denn sie hat einmal beobachtet, dass im Spind noch elf Porzellanfrauen stehen, die ihr das Leben sauer machen könnten. Der Chinese wird rabiat: „Dann bist du eben die zwölfte“. Die Hochzeit hat er für die kommende Nacht angesetzt und nickt zur Stärkung seines Willens bestätigend mit dem Kopf. Anschließend schließt er die Augen und schläft ein.
Drittes Bild: FLUGTEN - DIE FLUCHT
Die kleine Hirtin weint und bittet ihren Herzallerliebsten, mit ihr in die weite Welt zu gehen, denn hier kann sie nicht bleiben. Der hübsche Schornsteinfeger ist einverstanden. „Lass uns gleich losgehen“, fordert er seine Tischnachbarin auf. Er ist sicher, dass er mit seinem Beruf zwei Personen ernähren kann. Wären sie nur erst von dem hohen Tisch herunter! Richtig froh wird sie erst sein, wenn sie draußen in der weiten Welt ist. Er zeigt ihr, wie sie das Füßchen auf das geschnitzte Laubwerk setzen muss. Größere Abstände werden mit Hilfe seiner Leiter überwunden. Sorgfältig lehnt er das Klettergerüst an und hält es unten fest, damit die Hirtin unbeschadet am Boden ankommt. Es entsteht Unruhe im Gebälk. Die vielen ausgeschnittenen Hirschköpfe wackeln mit dem Geweih und verdrehen die Hälse. Sie können nicht begreifen, dass jemand es wagt zu türmen. Der bocksbeinige Kriegsdienstbefehlshaber springt in die Höhe und informiert den alten Chinesen, dass das Pärchen ihren angestammten Platz verlassen will. Die kleine Hirtin und der Schornsteinfeger bekommen einen gewaltigen Schrecken und suchen nach einem sicheren Versteck.
Sie klettern in eine große Schublade, in der ein unvollständiges Kartenspiel herumliegt. Ein kleines Puppentheater ist aufgebaut und man spielt gerade Komödie. Die Figuren haben ihre angestammte Spielkarte unerlaubt verlassen und bewegen sich nach Gutdünken. Das Stück handelte von zwei Liebenden, die sehnsuchtsvoll versuchen zusammenzukommen, doch das Schicksal machte ihnen immer wieder einen Strich durch die Rechnung. Die Buben stehen auf der Seite der Liebenden und versuchen, ihnen einen Weg zu weisen. Doch die Pik-Dame hat ein süßsaures Lächeln aufgesetzt und macht alle Anstrengungen zunichte. Die kleine Hirtin muss weinen, weil sie sich an ihre eigene Geschichte erinnert fühlt.
Die Schäferin hält es in der Schublade nicht länger aus und überredet ihren Schornsteinfeger, die Flucht fortzusetzen. Doch der alte Chinese ist erwacht und im Begriff vom Tisch zu klettern, um ihnen den Fluchtweg zu versperren. Der kleine Schornsteinfeger weiß Rat. Mit seiner Gefährtin klettert er in eine Schale, die mit Lavendel und Rosenblättern gefüllt ist. Das ist nun ein Versteck, in dem man es ein Weilchen aushalten kann, denn die Blütenblätter decken die beiden Flüchtenden vollständig zu. Man übt sich ein bisschen in Geduld und in einem unbewachten Augenblick verlassen die beiden unbemerkt ihre duftende Unterkunft und suchen das Weite.
Viertes Bild: DEN VIDE VERDEN - DIE WEITE WELT
Die kleine Hirtin hat wirklich Mut, mit ihrem Liebsten in die weite Welt zu gehen. Hat sie auch bedacht, dass sie nie wieder hierher zurückkehren kann? Sie nickt zustimmend. Der Weg beginnt am Kachelofen, führt durch den Schornstein bis auf das Dach. Der Durchgang ist eng und schmutzig, dunkel ist es auch. Hat die Geliebte genügend Mut? Für ihn ist es kein Problem, denn er ist in seinem Element. So hoch wollen sie steigen, dass niemand sie mehr erreichen kann. Nun geht es aufwärts. Wie dunkel es ist, doch sie kann bereits das Ende des Weges erkennen, denn durch die Öffnung sieht sie einen Stern besonders hell funkeln. Gewiss will er ihnen den Weg zeigen. Der Weg ist abscheulich, mal zieht sie der Weggefährte, mal er schiebt sie. Er sagte ihr, wohin sie ihr Porzellanfüßchen setzen muss.
Irgendwann kommen sie oben an. Sie haben einen weiten Rundblick auf die Dächer von Kopenhagen. So groß hat die kleine Ausreißerin sich die Welt nicht vorgestellt. Sie lehnt den Kopf an die Schulter ihres Schornsteinfegers und schluchzt hemmungslos. Nun, sie ist ihm – wie sie es versprochen hat – gefolgt und jetzt möchte sie wieder zurück. Wenn er sie lieb hat, wird er ihren Wunsch erfüllen.
Aber sie haben den Weg in die weite Welt doch noch gar nicht angetreten. Der Schornsteinfeger redet seiner Gefährtin gut zu und führt ihr vor Augen, was sie zu Hause erwartet. Will sie den Kriegsgewinnler wirklich heiraten? Im Moment ist der kleinen Schäferin alles egal. Ein kleines Übel zu ertragen ist jedenfalls besser, als in der unendlichen Weite des Weltalls verloren zu gehen. Sie schluchzt zum Porzellanerweichen und küsst den kleinen Schornsteinfeger so liebevoll, dass er nichts anderes kann als nachzugeben – selbst, wenn es noch so töricht ist.
Fünftes Bild: TILBAGERKOMST - DIE RÜCKKEHR
Der Rückweg ist fast noch beschwerlicher als der Aufstieg. Schließlich haben sie es geschafft. Sie verbergen sich hinter der Wand des Kachelofens, um erst einmal zu schnuppern, ob die Luft rein ist. In der Stube ist es ganz still, doch als sie um die Ecke lugen, bleibt ihnen fast das Herz stehen. Ein Haushaltsunfall hatte sich zugetragen. Bei dem Versuch vom Tisch zu klettern, um ihnen nachzusetzen, ist der Mandarin abgestürzt und liegt nun in tausend Stücke zerschlagen auf dem Fußboden.
Nein, tausend Stücke sind es nicht, aber der Kopf ist ab und in eine Ecke gerollt. Dort, wo einst der Rücken war, klafft ein großes Loch. Die kleine Hirtin fühlt sich schuldig, weil sie die Ursache für seine körperliche Anstrengung war. Sie hat den Großvater überfordert, und nun weilt er nicht mehr unter den Lebenden. Doch der kleine Schornsteinfeger beurteilt die Situation realistisch. Der Kopf wird im Nacken genietet und der Rücken einzementiert und geklebt. Schadhafte Stellen an den Rockschößen werden ausgebessert und übermalt. Ein bisschen Geld werden die Operationen den Eigentümer schon kosten. Weshalb jammert das kleine Mädchen, es soll doch froh sein, den Fiesling loszusein. So weit ist es nun gekommen! Die ganze Mühe, auf das Dach zu steigen, hätten sie sich sparen können. Ein bisschen böse ist er schon. Wer lässt sich schon gern verschaukeln? Nun, die Besitzer veranlassen, dass die Antiquität wieder hergestellt wird - das Genick muss geklammert werden, damit die Figur auf dem Tisch bald wieder ihren Platz einnehmen kann.
Ist der Mandarin etwa hochmütig geworden oder hat er einen Besenstil im Rücken? Der Kriegsherr kann das Spotten nicht lassen. Was wird nun aus seiner Hochzeit? Bekommt er die kleine Schäferin nun zur Frau oder etwa nicht? Diese blickt mit flehendem Blick zum Großvater auf, damit er die Zusage rückgängig macht. Hoheitsvoll schaut er auf die Bittende herab – er kann Zustimmung oder Ablehnung durch Nicken nicht mehr zur Kenntnis geben. Der Hals ist steif geworden für alle Ewigkeit. Der Niet hat ihn unbeweglich gemacht. Kleiner ärztlicher Kunstfehler – versteht sich. Schäferin und Schornsteinfeger entscheiden sich für eine gemeinsame Zukunft.
Letzte Änderung am 2.1.2009
Beitrag von Engelbert Hellen