Die Grille
Uraufführung: | 4. Februar 1904 an der Opéra-Comique, Paris |
Art: | Ballett in zwei Akten |
Libretto: | Henri Cain und Jules Massenet nach "Die Grille und die Ameise" von La Fontaine |
Cigale: | ein gutherziges Mädchen |
Madame Fourmi: | die Nachbarin |
Weitere: | eine junge Besucherin, Freund Cigales, ein Bankbote, viele Engel |
Die Kuckucksuhr schlägt sechs Uhr. Das Bühnenbild zeigt das innere einer ländlichen Hütte. Im Bett schläft ein junges Mädchen, welches langsam aufwacht. Cigale, so heißt das hübsche Kind, ordnet ihr glänzendes schwarzes Haar. Sie nimmt ihren Spiegel zur Hand, bewundert sich ausgiebig und tanzt leichtfüßig im Zimmer umher. Danach trifft sie Vorbereitungen, einen Kuchen zu backen und schiebt den Teig in den Backofen.
Ein armes Mädchen kommt zu Besuch. Mitleidvoll schenkt Cigale ihm ihren Mantel, gibt ihm ihr Frühstück, tröstet es und überreicht ihm sogar ihr schönes Häubchen und den großen roten Regenschirm dazu. Beide sind vergnügt und tanzen. Zum Abschied leert Cigale dem lieben Gast noch ihren Geldbeutel in seine Schürze.
Madame Fourmi hat zugesehen und findet es unmöglich, dass man für solch undankbares Gesindel auch noch Mitleid empfindet. In der Ferne läuten Kirchenglocken, und die Nachbarin ist im Begriff, in die Messe zu gehen. Doch der köstliche Duft des frischgebackenen Kuchens steigt ihr in die Nase und sie lobt das Backwerk über die Maßen, so dass der gutherzige Cigale nichts anderes übrig bleibt, als sich von ihrem Kuchen zu verabschieden. Ihr selbst bleiben nur noch trockenes Brot und Wasser zum Frühstück.
Plötzlich kommt ein Bankangestellter in Cigales Hütte und überreicht dem Mädchen einen Schuldschein. Von solchen Dingen versteht Cigale nichts und als er fort ist, reißt sie das Papier entzwei und verfertigt Lockenwickler daraus. Nachdem sie sich fein gemacht hat, wartet sie auf ihren Freund. Zunächst begegnet sie seiner Annäherung mit Zurückhaltung, um dann aber schließlich doch den erwünschten Kuss zu gewähren.
Cigale ist in Not geraten und musste ihr Häuschen aufgeben. Gegen die bittere Kälte schützt sie nur ein schwarzer Umhang. Sie fleht den wirbelnden Wind an, sie zu schonen. Schutzsuchend flüchtet sie sich unter den Torbogen der Nachbarin und klopft mehrmals an ihre Tür. Auf der Gitarre spielt sie ein Lied, welches zum Ausdruck bringt, dass sie ihre Tür öffnen möge. Madame Fourmi denkt jedoch nicht daran, das Mädchen einzulassen, sondern verjagt es mit ihrem Besen. Sie soll sich warm tanzen. Es fängt an zu schneien. In dem Liebespaar, welches sich nähert, erkennt die erstaunte Cigale ihren Freund händchenhaltend mit dem Mädchen, welchem sie ihr schönes Häubchen geschenkt hat. Beide schmusen unter ihrem roten Regenschirm. Cigale ist außer sich vor Verzweiflung, sinkt zusammen und entschläft sanft. In der eisigen Kälte hält sie ihre Gitarre eng an sich gedrückt.
Nach einem Donnerschlag legt der Schneesturm sich plötzlich. Die Flocken hören auf zu tanzen und vom Himmel her tönt ein geheimnisvoller Chor. Engel schweben hernieder und singen: „Viens à nous, petite Cigale... Viens à nous dans l'azur. “ (Komm zu uns kleine Cigale... Komm zu uns ins Himmelblau.)
Eine Benefizveranstaltung zugunsten Bedürftiger war der Anlass, neben vielen anderen Darbietungen Massenets Ballett an der Opéra-Comique erstmalig aufzuführen. Obwohl die Darsteller sich alle Mühe gaben, war der Beifall spärlich, weil die meisten schon nach Hause gegangen waren. Es erfolgten noch vier Aufführungen, und danach wurde das Ballett anderweitig nicht mehr produziert. Die Ursache mag darin zu suchen sein, dass Paris zu Beginn des Jahrhunderts an Werken der darstellenden Kunst völlig übersättigt war. Das Sujet war einfach zu spartanisch, um Aufmerksamkeit in weiten Kreisen zu erregen. Massenets eigene glanzvolle Opern mögen ein Hindernis gewesen sein, sich auch mit unscheinbaren Kompositionen des Meisters abzugeben.
Dabei verfügt das Ballett über herrliche Musik. Hinreißende Einfälle und exquisite Kunstfertigkeit sind untergebracht und locken mit emotionalem Schwung und der Süße ihrer Töne, so wie nur Massenet es verstand, sich in die Herzen eines übersättigten Publikums einzuschmeicheln. Die leitmotivisch wiederkehrenden Hauptthemen prägen sich sofort ein und bleiben noch im Gedächtnis haften, wenn das Ballett längst verklungen ist.
Letzte Änderung am 2.1.2006
Beitrag von Engelbert Hellen