Entstehungszeit: | 1929 |
Uraufführung: | 8. März 1930 in Prag |
Besetzung: | gemischter Chor und Orchester |
Spieldauer: | ca. 53 Minuten |
Erstdruck: | Prag: Hudební Matice, 1930 |
Bemerkung: | Der Erfolg seines Ballettes „Signorina Gioventù“ regte den Komponisten an, eine weitere Ballettmusik folgen zu lassen. Hieraus ergibt sich der Vorteil einer gemeinsamen Aufführung mit dem Zwilling „Nikotina“, um dem verehrten Publikum ein abendfüllendes Erlebnis zu bescheren. Auch hier haben wir es mit einem originellen Thema zu tun, in dem ein Laster mit musikalischem Witz parodiert wird. Die Zitate aus „La Paloma“ wirken allerdings ein bisschen zu aufdringlich. Satzbezeichnungen: 1. Klášterni kuchynĕ (Klosterküche) 2. Letni krajina (Sommerszenerie) 3. Jidelna v letohrádku (Speisesaal in der Sommerresidenz) 4. Ložnice v letohrádku (Schlafraum in der Sommerresidenz) 5. Loggie v zámeckém parku (Galerie im Park) 6. Jiná čast parku s besidkou (Jemand im Park beim Pavillon) 7. Letni krajina (Sommerszenerie) |
Opus: | op. 59 |
Art: | Ballett-Pantomime in sieben Szenen |
Libretto: | vom Komponisten frei nach Svatopluk Čech |
Nikotina: | eine dunkelhäutige Magierin, Geist einer Schnupftabaksdose |
Laktanz: | ein lebenslustiger Frater mit seinem Esel |
Weitere: | ein Pferd, ein sorgsamer Abt, ein Kaplan und lebhafte Chorknaben, Kavaliere, Dienerschaft, ein Papagei und ein bellender Hund, eine Bäuerin mit Huhn |
Erstes Szene
Man könnte denken, dass Klosterschüler aufgrund streng religiöser Erziehung besonders artig sind. Nicht überall, denn Frater Laktanz lässt es an Autorität fehlen. Die Chorknaben stürmen in die Klosterküche, werfen das gesammelte Anmachholz auf den Boden und halten Ausschau nach etwas Essbarem, obwohl im Kloster die Mahlzeiten geregelt sind und es reichlich zu essen gibt. Der Erzieher droht mit dem Besen, aber die Jungen wissen, dass es nicht ernst gemeint sein kann, wenn ein gutmütiges Lächeln die Strafankündigung begleitet.
Frater Laktanz hat eine Leidenschaft, und er gibt sich nicht einmal Mühe, diese geheim zu halten. Eine Dose im Gürtel, aus der er gelegentlich eine Prise Schnupftabak nimmt, verrät sein Laster. Junge Mädchen sieht er gern in seiner Nähe. Eine Bäuerin, hübsch und drall, bringt als Opfergabe für die Klosterküche ein Huhn. Dieses entwischt, und beide fangen es gemeinsam wieder ein. Das Gegacker der drei lockt den Abt an, der dem Spuk sofort ein Ende setzt. Er befiehlt dem Mönch, unverzüglich den Esel zu satteln und in der Umgebung Almosen zu sammeln.
Zweite Szene
Das Einsammeln von milden Gaben ist nicht von Erfolg gekrönt. Mit Rücksicht auf seinen Esel, der schon alt und ständig müde ist, sucht der Frater ein schattiges Plätzchen, um ein wenig Rast zu halten. Ein Hirte spielt auf seiner Schalmei und lockt eine Schäferin an. Beide tanzen fröhlich nach einer Volksweise, um sich dann lachend wieder zu entfernen. Der Klosterbruder war auch einmal jung und verliebt - geblieben ist ihm als Trost die Schnupftabaksdose. Seinem Trieb gehorchend, öffnet er den Behälter und kann sich vor Staunen nicht fassen. Blaue Rauchspiralen steigen empor und in der Mitte dreht sich eine winzige Person, die nun, in Freiheit gesetzt, wächst und wächst. Es ist „Nikotina“, der Geist der Dose, eine entfernte Verwandte des Flaschenteufelchens aus den Erzählungen von Robert Louis Stevenson oder aus Tausendundeiner Nacht. Auffällig ist die sportliche dunkelbraune Hautfarbe! Der Geist der Dose schüttelt sich die Tabakreste aus den Kleidern, niest einmal kräftig und beginnt dann ausgelassen zu tanzen. Freiheit ist etwas Schönes, besonders wenn man sie mit einem Partner gemeinsam genießen kann. So ganz ist der neue Gebieter allerdings nicht nach ihrem Geschmack, aber störende Äußerlichkeiten kann man mit Hilfe der Magie korrigieren. Erfreulich ist zunächst einmal, dass der Klosterbruder ein guter Tänzer ist und dies sofort unter Beweis stellt. Mit seinem Besen hat der Solist in der Klosterküche fleißig geübt – deshalb heißt er auch Laktanz.
Nikotina versteht sich vortrefflich auf die Kunst der Zauberei. Als erstes wird der alte Esel in ein feuriges Ross verwandelt. Damit der Frater zum Pferd ein gutes Verhältnis bekommt, wird aus ihm ein molliger Prinz. Sich selbst verwandelt Nikotina sich in eine elegante Dame, und man wohnt zukünftig gemeinsam in einem zierlichen Rokokoschlösschen. Aus der Schlosskappelle kommt der Kaplan, der genau so aussieht, wie der Schnupftabakkonsument, vielleicht noch ein bisschen rundlicher. Hätte Nikotina auf den Doppelgänger als Mahnmal nicht verzichten können? Natürlich gibt es auch Dienerschaft, man will schließlich nicht selbst die Tafel abräumen oder die Spiegel im Spiegelsaal blank putzen.
Dritte Szene
Die Dienerschaft ist ungezügelt. Während Laktanz an der Tafel sitzt und intensiv mit seiner Mahlzeit beschäftigt ist, bedienen sich die Lakaien von den kalten Platten und aus den Schüsseln selbst. Nikotina ist den leiblichen Genüssen überraschenderweise zugetan, spricht dem feurigen Rotwein eifrig zu und steckt eine Zigarette nach der anderen auf die Hülse. Zu Laktanz verhält sie sich ausgesprochen zärtlich und stößt ständig mit ihm auf sein Wohl an. Er sieht es mit Wonne, aber sobald er seine Dose öffnet, um eine Prise zu nehmen, wird er von der Liebsten heftig getadelt. Offenbar hat sie eine Aversion gegen dieses Utensil, weil es einst ihre Bewegungsfreiheit einengte. Bald lernt der Mönch zu gehorchen, eine Verbeugung zu machen und das Händchen zu küssen. Am Abend kommen Leute mit Fackeln aus dem Park. Die Dörfler wollen mit der neuen Herrschaft fröhlich sein und tanzen.
Vierte Szene
Ein prunkvolles Schlafzimmer gehört zur Ausstattung eines jeden Lustschlosses. Der prinzliche Liebhaber ist schon früh auf den Beinen, um beim Gärtner Rosen zu kaufen. Den Blumen reißt er die Köpfe ab und streut die wohlduftenden Blütenblätter um das Ruhelager und auf die Schlafende. das Hündchen wird eifersüchtig, wedelt mit dem Schwanz und hebt mit Bellen an. Kurzen Prozess mit dem Lärmverursacher! Einen Hut bekommt er aufgesetzt und mit der Schleife wird der Schalldämpfer festgezurrt. Der Blütenstaub ist in Nikotinas Näschen eingedrungen. Sie erwacht und muss ausgiebig niesen.
Die Herrin ist nicht mehr so liebenswürdig wie früher und hat es verstanden, den Unterwürfigen abzurichten. Er muss auf dem Fußboden krabbeln, nach den Pantöffelchen suchen und ihr diese an den Fuß stecken. Die Aufgemunterte will mit ihrem Papagei spielen. Ungern holt er ihn aus der Voliere, weil der schräge Vogel ihn schon einmal in den Finger gebissen hat. Erneut hackt er zu und bekommt dafür vom Angegriffenen einen derben Fausthieb. Nikotina ist erbost, springt auf und stolpert über den Hut unter dem der Hund fast erstickt wäre. Nun wird Laktanz von der Tierschützerin lautstark beschimpft, bis er den Rückzug antritt. Sie wirft einen Pantoffel hinterher, trifft aber nicht ihn, sondern eine kostbare Vase, die auf den Boden fällt und zerbricht. Die Geliebte steigert sich zur Furie. Um den Wurfgeschossen auszuweichen, versteckt Laktanz sich hinter einem Lehnsessel. Der Schutz der Rückenlehne reicht nicht aus und sein Fluchtweg führt ihn nun in den Kleiderschrank, die Tür zieht er hinter sich zu. Vom Stress aufgerieben, sinkt Nikotina endlich in wohltuende Ohnmacht. Die aufhorchende Dienerschaft kommt herbei und bemüht sich mit einem Riechfläschchen um die Bewusstlose. Unter lustigem Gekicher fegen die Zofen die Scherben zusammen und ordnen die verstreute Wäsche. Endlich kommt der Schlosskaplan mit Lavendelwasser und einer Buchsbaumquaste, den Segen des Himmels erbittend. Mit ernster Miene tadelt der Mann Gottes die unmöglichen Zustände und droht mit dem Jüngsten Gericht. Laktanz ist verwirrt und hat das Gefühl, mit sich selbst nicht im Klaren zu sein.
Fünfte Szene
Für den Abend ist ein Gartenfest mit Feuerwerk und Tanzvergnügen angesagt. Nikotina hat fesche Kavaliere eingeladen, mit denen sie kokettiert und sich bei ihnen einschmeichelt. Laktanz hat das Nachsehen, er ist gezwungen, mit einer rundlichen kleinen Tänzerin vorlieb zu nehmen. Kaum hat er sich befreit, kommt eine hagere Hochgewachsenen und legt ihre Arme um seine Schulter. Von Nikotina ausgelacht, wirbeln die beiden ungleichen Tänzerinnen ihn im Kreis herum. Schließlich wird es dem Verspotteten zu dumm und er eilt seiner Nikotina hinterher. Doch ein junger Kavalier ist flinker und hat den nächsten Tanz von der Brünetten schon gebucht. Der Eifersüchtige versetzt dem nicht willkommenen Rivalen einen kräftigen Puff in die Seite. Doch dieser versteht keinen Spaß. Er zieht seinen Degen und sticht den Verblüfften mit der Waffe ins Hinterteil. Mit schmerzverzerrtem Gesicht wankt dieser davon, während die anderen unbekümmert weiterfeiern.
Sechste Szene
Die Verletzung verursachte keine ernsthaften Schäden. Am folgenden Tag ist der verhinderte Liebhaber wieder munter, versteckt sich aber vorsichtshalber in der Gartenlaube, um ungestört eine Prise Schnupftabak nehmen zu können. Nikotina erscheint mit dem Schlosskaplan auf der Bildfläche und wird von dem wehrhaften Galan des gestrigen Abends verfolgt. Seine Küsse in Anwesenheit des Gottesmannes sind ihr zu feurig, und die Bedrängte flüchtetet in die Gartenlaube. Nikotina stampft mit dem Fuß auf und befiehlt Laktanz, die alberne Dose endlich wegzuwerfen. Dieser entrüstet sich und behauptet frech, dass er so eine Tat niemals begehen könnte, weil er doch gesehen habe, wie Nikotina dieser Dose entstiegen sei. Wie rasch ist sie damals gewachsen, aber bringt sie es auch fertig, genau so schnell sich wieder klein zu kriegen oder sind ihren magischen Künsten etwa Grenzen gesetzt? Die Provozierte reagiert mit einem überheblichen Lächeln, dreht sich im Tanz und wird nun beweisen, was nicht vorstellbar ist. Eine Rauchsäule erscheint und Nikotina schrumpft, bis ihr Figürchen wieder so winzig ist, wie damals. Darauf hat der schlaue Mönch nur gewartet. Er klappt den Deckel zu, und ein quiekender Laut aus der Dose sagt ihm, dass die List geglückt ist. Aber mit der Magierin verschwindet auch der Zauberspuk. Das schmucke Lustschlösschen fällt mit Gepolter zusammen und verschwindet mit den Kavalieren, dem Schlosskaplan, dem kläffenden Hündchen und dem boshaften Papagei im Erdboden. Der Befreite fällt auf die Knie und dankt dem Himmel mit erhobenen Händen.
Siebte Szene
Frater Laktanz hat seine ursprüngliche Gestalt angenommen und trägt wieder seine Mönchskutte. Treuherzig blicken Esel und er selbst zum Kloster, welches als Silhouette in der Ferne sichtbar ist und vom Abendrot in zauberhaftes Licht getaucht wird. Die Glocken läuten, und sein Gottvertrauen ist wieder hergestellt. Mit seinem Lasttier tritt er den Heimweg an. Die Schnupftabaksdose hat für ihn nur noch Andenkenwert. Nie wieder wird er sie öffnen, weil er die Gefahr kennen gelernt hat, die sich darin verborgen hält. Der Himmel und sein schlaues Köpfchen werden ihn in Zukunft leiten.
Letzte Änderung am 9.10.2009
Beitrag von Engelbert Hellen