Jacques Offenbach (1819-1880):
Der Schmetterling
Uraufführung: | 26. November 1860 in Paris, Opéra |
Spieldauer: | ca. 60 Minuten |
Art: | Balletpantomime in 2 Akten und 4 Tableaus |
Libretto: | Marie Taglioni und Vernoy de Saint Georges |
Ort: | Orient |
Zeit: | zur Märchenzeit |
Hamza: | eine etwas betagte Fee |
Farfalla: | ihre flatterhafte Zofe |
Djalma: | ein Prinz, in Liebe zu Farfalla entbrannt |
Der Emir: | Vater der einst geraubten Farfalla |
Patimate: | ein Gärtner, in Diensten Hamzas |
Weitere: | die Diamanten-Fee, die Perlen-Fee, die Blumen-Fee, die Ernte-Fee, Hauslehrer des Prinzen, ein Teufelchen, ein Fackelträger und viele bunte Schmetterlinge |
Erstes Bild:
Die Fee Hamza hat das Problem, dass ihren durchaus passablen Zauberkünsten Grenzen gesetzt sind. Gern wäre sie wieder jung und schön wie einst, doch hierzu bedarf es in Ergänzung Ihrer Hexenkünste des zärtlichen Kusses eines stattlichen jungen Prinzen.
Ein Versuch kann nicht schaden, und es ist ihr gelungen, einen jungen hübschen Prinzen zumindest erst mal herbeizuzaubern; ob er kussbereit ist, wird die Mühewaltung ergeben. Die Jagdhörner erschallen bereits. Schnell eilt die Eitle noch vor den Spiegel, um sich ein bisschen zurecht zu machen, soweit die Natur keine Grenzen setzt. Kokett tanzt sie vor dem Spiegel, wiegt sich hin und her und legt sich eine Strategie zurecht, wie der Prinz einzuwickeln sei. Ihre Kammerzofe steht der alten Hexe an Bosheit in nichts nach und tut so, als ob sie ihre Herrin bewundere. Hinter ihrem Rücken imitiert sie jedoch ihr gespreiztes Getue und wird dabei auch noch vom Hausgärtner Patimate unterstützt. Die beiden unterschätzen die Alte gewaltig. Besonders Farfalla wird sich über ihren Einfallsreichtum noch wundern.
Prinz Djalma naht mit Gefolge und ist sichtlich entzückt von der liebreizenden Farfalla, welche eine kleine Mahlzeit vorbereitet hat. Die erwartungsvolle Fee besinnt sich auf ihre Künste, berührt den Tisch mit ihrer Zauberkrücke und verwandelt die aufgetragenen Speisen in ein festliches Bankett. Viel Tafelsilber und juwelengeschmücktes Besteck sollen den Prinzen erfreuen und ihr seine Aufmerksamkeit zuwenden. Der herrliche Tischwein ist allzu süffig.
Dem Hauslehrer des Prinzen kommen die Gesichtszüge der Fee bekannt vor. Zeitlich liegt die Szene weit zurück, als die kleine Tochter des Emirs gewaltsam entführt wurde. In seiner Fantasie konstruiert er einen Zusammenhang zwischen dem kleinen Mädchen und der Gastgeberin. Kann es vielleicht sein, dass sie es war, welche die Kleine dem ruhmbedeckten Onkel wegnahm, um sich in ihrem Haushalt dann an sie zu gewöhnen. Die Ähnlichkeit der Gesichtszüge Farfallas mit der damals Geraubten lassen riskante Schlüsse zu.
Der Prinz jedenfalls ahnt nichts von den Ambitionen der Fee, die auf einen Kuss von ihm aus ist und vielleicht sogar noch viel mehr von ihm will. Er wendet sich naturgemäß der zauberhaften Farfalla zu. Eine Mazurka tanzt er mit ihr, und zum Schluss erhält die reizende Partnerin einen fetten Kuss. Dieser Schmatz hätte die Fee von ihren Nöten befreit - Neid und Ärger der Betrogenen kennen keine Grenzen. Mit ihrer Krücke holt sie aus und will der Begünstigten einen Schlag versetzen, trifft aber aus Ungeschicklichkeit den Gärtner.
Der süße Wein tut seine Wirkung. Die Alte hat ihm reichlich zugesprochen und nickt ein. Während sie schlummert, kitzelt Farfalla sie fortwährend mit einer Blume an der Nase, damit sie niesen soll. Die Übermütige schwirrt und tändelt um sie herum wie eine Motte, nein, wie ein Schmetterling. Die Gutmütigkeit der Zauberkundigen hat ihre Grenzen; der erlittene Verdruss addiert sich zur Eifersucht hinzu. Sie gerät über das kesse Verhalten der Zofe in Rage und wartet, bis sich ihr eine gebückte Haltung anbietet. Mit voller Wucht zieht die Erzürnte ihr die Krücke über die Gräten. Diesmal hat sie ihr Ziel nicht verfehlt. Die Zauberkraft beginnt zu wirken und sie verwandelt Farfalla in einen schönen Schmetterling, der seiner Flatterhaftigkeit nun wirklich keinen Zwang mehr antun muss und ihren wahren Charakter voll entfalten kann. Von weit her fühlen sich andere Schmetterlinge durch den Duftstoff des soeben entstandenen Wesens angelockt. Durch Tür und Fenster, sogar durch den Schornstein schaukeln sie in die Wohnung. Es werden immer mehr, und die Fee verliert allmählich die Kontrolle über ihr trautes Heim.
Zweite Szene:
Dem Prinzen und seinem Gefolge bleibt nichts anderes übrig, als sich auf einer Lichtung im benachbarten Wäldchen niederzulassen, gefolgt von dem Schwarm der Schmetterlinge. Die Hofdamen machen sich einen Spaß daraus, die Insekten einzufangen. Eine von ihnen hat ein besonders schönes Exemplar erwischt. Es sieht aus wie eine Elfe, und die Jägerin macht es dem Prinzen im Austausch gegen einen kostbaren Ring zum Geschenk. Ein Entweichen der kostbaren Gabe soll verhindert werden. Der Erfreute sucht sich einen zugespitzten Stecken, um den aufgeregten Schmetterling an einen Baumstamm zu spießen. Nun geschieht das Unfassbare, das Insekt verwandelt sich vorübergehend zurück in ein tränenüberströmtes Mädchen. Der Prinz ist überwältigt von ihrem Liebreiz und zieht den Stab blitzschnell aus der Tänzerin heraus. Unter Schockeinwirkung stürzt das Mädchen ohnmächtig zu Boden. Er beugt sich liebevoll über sie, und Djalma erkennt in den Gesichtszüge die Tanzpartnerin vom vergangenen Abend. Während er versucht, Klarheit über seine Gefühle zu bekommen, flattert die Zurückverwandelte mit ihren trauten Gefährtinnen davon – er natürlich hinterher.
Farfalla hat ihre Freundinnen um sich versammelt, denn alle finden Gefallen daran, nach der Musik von Jacques Offenbach zwischen Licht und Schatten zu taumeln. Ein Pas de deux zwischen dem zauberhaften Schmetterling und dem Prinzen kann natürlich nicht ausbleiben. Der Gefoppte sucht den schönen Schmetterling zu haschen, was sie aber nicht zulässt.
Die alte Fee erscheint plötzlich mit ihrem Gärtner und hält Ausschau nach ihrer entwichenen Zofe. Mit Hilfe ihrer Zauberkrücke macht sie die zwischen den Bäumen versteckte Farfalla ausfindig und fängt sie mit ihrem Netz ein. In ihrem Jubel über ihren Erfolg lässt sie die Zauberkrücke versehentlich auf dem Waldboden liegen. Patimate ergreift den Stock und hält ihn an das Schmetterlingsnetz, welches sich öffnet, so dass die Gefangene entweichen kann. Begeistert über diesen kleinen Anfangserfolg in der Zauberei berührt er mit der Krücke auch die Hexe, die daraufhin wie durch ein Nervengift gelähmt handlungsunfähig wird. Der Diener wusste allerdings nicht, dass er von einem Teufelchen observiert wurde. Aus Unachtsamkeit lässt der Überraschte den Stock fallen, und blitzschnell greift der kleine Genius zu, um mit der Zauberwaffe zu entschwinden. Die Schmetterlinge haben das Netz nicht aus den Augen gelassen und in Gemeinschaftsarbeit wickeln sie die bewegungslose alte Hexe darin ein. Farfalla, die ihr neues Leben als Schmetterling genießen will, verspottet die gefangene Hamza, die nun das Los erleidet, was ihr zugedacht war. Patimate, der die Geheimnisse der Alten kennt und sie hasst, informiert nun den Prinzen, dass der schöne Schmetterling in Wahrheit die Tochter des Emirs und seine Cousine ist.
Erste Szene:
Im Palast des Emirs hat die Entführerin sich nun für ihre verruchte Tat zu verantworten. Ohne Zauberstab ist sie machtlos, und sie kann es nicht verhindern, dass man sie ins Gefängnis stecken will. Doch in diesem kritischen Moment erscheint das kleine Teufelchen und bringt reumütig den gestohlenen Zauberstab zurück. Jetzt kann wieder gezaubert werden, was das Zeug hält!
Eine goldene Karosse fährt vor, von einer feierlichen Prozession begleitet. Die Vorhänge werden beiseite geschlagen, und ihr entsteigt Farfalla, die liebliche Tochter des Emirs.
Prinz Djalma ist hocherfreut und umarmt Farfalla, welche ihn allerdings überraschenderweise abweist. Sie erinnert sich der Wunde, die er ihr zugefügt hat, als er sie aufspießen wollte. Er schließt die Augen und versucht sie zu küssen. Die alte Hexe hat diesen Moment genau abgepasst. Blitzschnell wirft sie sich dazwischen und bewirkt, dass der Farfalla zugedachte Kuss in ihrer verbeulten Visage landet. Endlich! Jetzt erfolgt eine Metamorphose der ganz besonderen Art. Graue Haare und tiefe Falten sind verschwunden und ein zweites schönes Mädchen steht vor dem verblüfften Prinzen.
In der Absicht, die Eifersucht des geliebten Wesens anzustacheln, macht nun der Prinz der schönen Hamza den Hof. Die List gelingt, und Farfalla wirft sich, bevor das Glück entschwindet, in seine Arme. Jetzt wird die schöne Fee wütend und schwört Vergeltung, weil sie den Prinzen nach all den Anstrengungen für sich behalten will.
Genau in dem Moment, als der Emir die Hochzeit seiner Tochter mit seinem Neffen bekannt geben will, nimmt die Verjüngte ihren Zauberstab und verwandelt die Nebenbuhlerin zurück in einen Schmetterling. Von ihrer Fähigkeit, zaubern zu können, kann Hamza gar nicht genug bekommen und wagt sich auch an Größeres heran. Den Prinzen versetzt sie zunächst in einen künstlichen Schlaf. Der Palast des Emirs verschwindet, und stattdessen erscheint eine völlig neue Wohnanlage mit einem gepflegten Parkanlagen, in denen das Sonnenlicht badet.
Zweite Szene:
Djalma erwacht aus seinem Scheinkoma. Im Mittelpunkt eines Schwarmes bunter Schmetterlinge erkennt er Farfalla. Sogleich tanzt er mit ihr einen Pas de deux. Die beflissene Hamza erscheint in Begleitung ihrer Schwestern, der Diamanten-Fee, der Perlen-Fee, der Blumen-Fee und der Ernte-Fee, um ihre Eroberung vorzustellen. Sie denkt bereits an Hochzeit. Zur Generalprobe hat sie handverlesene Gäste um sich versammelt, und die Hauskapelle, die hauptsächlich aus vergoldeten Harfen besteht, ist fleißig am Zupfen.
Farfalla verliert die Nerven und startet ein gewagtes Experiment. Vom Licht angezogen stürzt sie sich in die Flammen eines Fackelträgers. Ihre Schwingen fangen Feuer und lösen den Zauber ihrer Metamorphose. Wieder Mensch geworden, führt ihr erster Weg schnurstracks in die Arme des schönen Prinzen.
Die Schwestern Hamzas sind gerührt und ergreifen für das Paar Partei. Sie zerbrechen die Zauberkrücke und verwandeln die Ränkesüchtige in eine Statue. Eine unliebsame Überraschung für die Betroffene und ein Beweis, wozu Geschwisterneid fähig ist!
Ihre schönen Kleider, die bis auf das Hemd nicht mitversteinert wurden und neben der Skulptur liegen, erwecken das Begehren Farfallas, die sich zur Verwunderung der Ballettbesucher unverzüglich neu einkleidet.
Das Ballett hatte bei seiner Premiere einen überwältigenden Erfolg, welcher in erster Linie auf die herausragende Leistung der jungen Ballerina Emma Lyvri zurückzuführen war. Die kurze Laufbahn der Tänzerin endete durch einen tragischen Bühnenunfall. Während einer Opernprobe fing ihr Tutu Feuer und sie starb an den Verbrennungen.
Das handlungsreiche Libretto bot der Choreographin Gelegenheit, ihren Ideenreichtum voll auszuschöpfen. Jacques Offenbach maß dem Stück eine Musik an, die dem Witz und Charme der Handlung gerecht wieder. Es ist sein bedeutendstes Werk für das Ballett-Theater und biedert sich nicht als zweiter Aufguss einer seiner Operetten an.
Letzte Änderung am 24.5.2006
Beitrag von Engelbert Hellen