Ottorino Respighi (1879-1936):
Der magische Topf / The Magic Pot
Anlass: | Auftrag von Ileana Leonidow von der Diaghilew-Gruppe |
Entstehungszeit: | 1919-20 |
Uraufführung: | November 1920 in Rom (Teatro Constanzi) |
Besetzung: | Orchester |
Spieldauer: | ca. 30 Minuten |
Verlag: | Mailand: Ricordi, 1947 |
Bemerkung: | Ottorino Respighi empfand eine besondere Affinität zur russischen Schule. Diese ging sogar soweit, dass er Kompositionen u a. von Gretschaninow, Arenski und Rubinstein nutzte, um daraus das Ballett “La Pentola Magica” zu formen. Auftraggeber war die Ballettkompanie von Serge Diaghilew, die noch zwei andere Ballettmusiken bei ihm bestellte, nämlich “Le Astuzie di Colombina” und “Sèvres de la vieille France”. Respighi hielt sich ab 1900 einige Jahre in Russland auf und bekleidete die Position des Ersten Geigers im kaiserlich russischen Orchester an der Hofoper in St. Petersburg. Sein Lehrer war Nikolai Rimski-Korsakow. Von diesem erlernte er die Kunst des Orchestrierens, und in Anlehnung an Richard Strauss und Claude Debussy schuf er seine großen sinfonischen Dichtungen eigener Prägung. Gekennzeichnet sind seine Hauptwerke, die sich bis heute größter Beliebtheit erfreuen, durch raffinierte Orchestrierung, angesiedelt zwischen Klassizismus und Moderne. |
Opus: | P 129 |
CD: | [Details] |
La Primavera (Naxos, DDD, 1991/1994) Ottorino Respighi (1879-1936) FonoForum 8/95: "Die Umsetzung unter der Leitungvon Adriano ist so famos gelungen, daß es schierunglaublich scheint, daß dieser exzeptionelleRespighi-Kenner sein täglich Brot als Souffleuran der Zürcher Oper verdient." |
Art: | Choreographische Handlung in zwei Bildern |
Libretto: | vom Komponisten in Anlehnung an russische Volksmärchen |
Ort: | Russland |
Zeit: | zur Märchenzeit |
Der Zar | |
Die Zarentochter | |
Der junge Prinz | |
Der Tatar Khan | |
Der russische Bauer | |
Die Gouvernante | |
Die armenische Sklavin | |
Der Sternengucker | |
Weitere: | Bogenschützen, Mägde, junge Knechte |
Erstes Bild:
Es genügt der jungen Zarentochter nicht, sich lediglich naturschön zu zeigen, sondern das Produkt einer Himmelsgabe als Folge sorgfältiger genetischen Auslese will auch ins rechte Lichte gerückt sein. Damit beschäftigt sind eine Reihe von Mägden, welche der frisch Gebadeten nun die langen blonden Zöpfe richten, Juwelen aufsetzen und silbern schimmernde Bänder hineinflechten. In einem Spiegel beobachtet die Verwöhnte den Ablauf der Prozedur, während zu ihren Füßen eine armenische Sklavin ein Liedchen aus ihrer Heimat vokalisiert, um die Herrin bei Laune zu halten.
Der Vater hat seinen Besuch im Frauengemach angekündigt. Alles fällt protokollgemäß auf die Knie, obwohl der alte Herr eigentlich einen recht umgänglichen Eindruck macht. Er hat sich in seine schönsten Kleider geworfen, denn er ist in Begleitung des Tatar Khan. Dieser schaut finster aus und hat völlig überflüssig seine Bogenschützen dabei, die nicht so recht wissen, wie sie ihr Gerät an diesem Ort zum Einsatz bringen sollen. Hilfsweise müssen sie ihre Tanzkünste vorführen. Der Tatarenkhan bewirbt sich um die Hand der Prinzessin und wäre durchaus der richtige Partner, um der Hochmütigen zu zeigen, wo es lang geht.
Aber da ist im Gefolge des Zaren noch ein junger Prinz, gutaussehend und von Liebesschmerz geplagt. Er begehrt die Prinzessin auch, obwohl seine wirtschaftlichen Einkünfte nicht der Rede wert sind und hochfliegende Vorstellungen eigentlich nicht zulassen. Warum der Jüngling nicht in Einzelaudienz erscheint, um ungestört seinen schmachtenden Blick auf die kirschroten Lippen der zur Wahl stehenden Heiratskandidatin zu heften, kann man nur dem mangelnden Taktgefühl des Vaters anlasten.
Der Prinz sieht wirklich nur gut aus, hat unverständlicherweise kein Vermögen, und das Publikum fragt sich, was er hier überhaupt zu suchen hat. Nun, er hat ein liebendes Herz in der Brust und eine lachsrote Rose in der Hand und meint, damit eine Zarentochter berücken zu können. Diese ist jedoch der Ansicht, dass hübsche Männer und lachsrot getönte Rosen im russischen Reich keine Mangelware sind und dreht das Näschen hochmütig zur Seite.
Der Khan hat ein bisschen mehr anzubieten. Seine Bogenschützen führen einen Kriegstanz auf, damit die Zarentochter weiß, dass sie an der Seite des Khan vor jeder Gefahr geschützt sein wird. Vermögend ist er auch, man denke nur an den gigantischen Immobilienbesitz. Eine edelsteingeschmückte Truhe mit kostbarem Inhalt wird herangeschafft und der Prinzessin vor die Füße gestellt. Anstatt sich über die Kleinodien zu freuen, kippt das törichte Mädchen die Truhe um und tritt mit dem Fuß die kunsthandwerklichen Arbeiten beiseite. Das Kind wurde vom Vater völlig verzogen und hat kein Gefühl für stilsicheres Benehmen. Dem Vater bleibt nichts anderes übrig, als sich mit seinem Besuch zurückzuziehen, weil er nicht geneigt ist, sich vorführen zu lassen. Die Gouvernante, die in der Erziehung der Zarentochter ebenfalls versagt hat, ermuntert nun die jungen Mägde und jungen Knechte, zu tanzen. Es ist ein letzter Versuch, die Ungebärdige zu beruhigen und die Palastruhe wiederherzustellen.
Plötzlich ertönt von draußen seltsame Musik. Alle laufen zum Fenster, um zu schauen, wer der Musikant ist. Die Gouvernante erklärt der Prinzessin, dass ein Bauer einen Topf anschlägt und den Deckel hoch- und niederfahren lässt. Der Rhythmus veranlasst ihn, mit dem Topf zu tanzen. Solche Klänge hat die Prinzessin noch nie gehört und einen solchen Menschen noch nie gesehen. Sie will es aus der Nähe betrachten. Alle folgen ihr zum Ausgang.
Zweites Bild:
Der Kochtopf, der zum Musikinstrument umfunktioniert wurde, sieht wirklich lustig aus. Er ist bunt verziert – Bauernmalerei vom Feinsten - und am Rand mit Glöckchen ausgestattet. Der Langbart mit der Pelzmütze hat ihn auf den Boden gestellt und tanzt plump und ungeschickt um ihn herum.
Der Prinzessin gefällt der bunte Topf gut, so gut, dass sie ihn besitzen möchte. Eine Antiquitätensammlerin? Der lustige Landwirt will das Stück aber nicht abgeben, nicht einmal verkaufen, trotz aller Schmeicheleien der Prinzessin. Die Schöne tanzt verführerisch um den bunten Topf herum und bietet dem Besitzer das kostbare Geschmeide, welches sie um den Hals trägt, die Ohrgehänge aus glitzernden Perlen und die juwelengeschmückten Ringe dazu. Vergeblich!
Welche Wünsche hat der freche Bauer, wenn Schätze ihn nicht locken können? Küsse will er, Küsse von der Prinzessin! Alle sind empört! Die Eigenwillige hat sich in den Kopf gesetzt, den Topf zu bekommen. Wenn es nicht anders geht, in den Besitz des Behälters zu gelangen, soll es an ein paar dummen Küssen nicht scheitern - aber keiner darf zuschauen.
Die Gouvernante leitet die Zeremonie. Alle haben sich auf ihr Kommando umzudrehen. Der Topfbesitzer bekommt die zahlenmäßig festgelegten Küsse von der Prinzessin. Um spätere Reklamationen auszuschließen, zählt die Gouvernante laut mit.
Der Zar interessiert sich für Himmelskunde. Die große Kuppel auf dem Palast hat er zu einem Observatorium umbauen lassen. Sein Sterndeuter besitzt ein hochkarätiges Fernrohr, denn wenn er die Sterne deuten soll, muss er sich diese vorher genau anschauen.
Noch nicht richtig eingeschwenkt, zeigt die Linse in den Hof. Was müssen die beiden alten Herrn Schlimmes betrachten. Die Zarentochter küsst einen wunderlichen bärtigen Bauern, der auf einem umgedrehten bunt bemalten Topf sitzt. Hat das Kind überhaupt keinen Standesdünkel? Wütend streift der Zar seinen Pantoffel vom Fuß, wirft diesen zielgerichtet in den Hof und trifft die küssende Tochter direkt am Kopf. Alle laufen davon, um einer möglichen Bestrafung zu entgehen, obwohl niemand für den Unverstand der Prinzessin etwas kann. Nun ist sie mit dem bärtigen Bauern ganz allein. Der Zar hat angekündigt, dass die Türen des Palastes für die Ehrvergessene verschlossen bleiben. Ungebremste Leidenschaft zu schönen Dingen kann verheerende Folgen haben. Wer hat Ähnliches nicht schon selbst erlebt?
Die Prinzessin weint und findet nirgendwo Mitleid. Die Mägde hinter den Fenstern lachen sie aus. Der Bauer hat Mütze, Perücke und Bart abgenommen, und zum Vorschein kommt der junge hübsche Prinz. Aber der will von der Prinzessin auch nichts mehr wissen, weil er tief gekränkt wurde. Sein edel empfindendes Herz hat sie verschmäht, aber um einen albernen Kochtopf zu erstehen, war sie bereit ihre Liebe an einen Unbekannten zu verschenken. Weder zum Gemahl, noch zum Bettgefährten bekommt sie ihn, denn die glühende Liebe ist zur kalten Lava erstarrt, aber den bunten Topf darf sie behalten.
Was kann der Ballettbesucher aus dieser schönen Geschichte nicht alles lernen?
Letzte Änderung am 25.10.2008
Beitrag von Engelbert Hellen