Widmung: | John Neumeier |
Entstehungszeit: | 1985-87 |
Uraufführung: | 22. Januar 1989 in Hamburg (Staatsoper) |
Besetzung: | Chor (vom Tonband) und Orchester |
Spieldauer: | ca. 130 Minuten |
Erstdruck: | Hamburg: Sikorski, 1991 (SIK1952) |
Verlag: | Hamburg: Sikorski, 1999 |
Bemerkung: | Zu den Prototypen der Weltliteratur stehen „Doktor Faust“ für die Wissenschaft, „Don Juan“ für die Liebe und „Peer Gynt“ für die Unrast. Der Letztgenannte hat wenig Wohlgefallen ausgelöst und Ibsens Drama hatte es schwer, Theaterplätze zu füllen. Ohne Edvard Griegs umfassende Bühnenmusik hätte Henrik Ibsen keine Chance gehabt. In jüngerer Zeit hat Werner Egk mit einer Oper nachgezogen. Die Ballettmusik Schnittkes setzt auf Tiefsinn, der sich durch die Orchestermusik erschließt und durch den Tanz deutlich gemacht wird. Der Bezug zur Handlung ist sehr eng verknüpft. Das ausführliche Programmheft erläutert die Verbindungswege zwischen Dichtung und Musik. Letztere ist kühn und sorgfältig ausgefeilt, verliert den Boden traditioneller Gepflogenheiten aber nicht. In der Hamburger Uraufführung tanzten Ivan Liška den Titelhelden und Gigi Hyatt die Solveig. |
CD: | [Details] |
Peer Gynt - Ballettmusik (BIS, DDD, 94) Alfred Schnittke (1934-1998) V. Fischer in FonoForum 2/95: "Nicht nur fürBallettomanen. Eri Klas bekräftigt seinen Rufals hochkompetenter Schnittke-Interpret, aberspeziell auch als Anwalt Peer Gynts seit derHamburger Uraufführung. Dem Spiel der Stock-holmer Musiker ist nicht die geringste Anti-pathie gegenüber dem norwegischen Heros an-zumerken. Klangbild: Plastizität, Tiefen-schärfe und Dynamik exzellent." |
Art: | Ballett in drei Akten mit Prolog und Epilog |
Libretto: | John Neumeier frei nach dem Bühnenwerk von Henrik Ibsen |
Peer | |
Åse | |
Ingrid | |
Solveig | |
Solveigs Eltern | |
Der Krumme | |
Frau in Grün |
Beim Eintritt in die Welt wird gezeigt, dass Peer viele Aspekte hat.
Im Prinzip versteht Peer sich mit seiner Mutter Åse gut, aber wenn seine Phantasie mit ihm durchgeht und der Taugenichts Lügengeschichten erzählt, muss sie ihn tadeln. Gern hätte sie es gesehen, wenn die Tochter vom Nachbarhof seine Frau geworden wäre. Doch Ingrid hat sich anders entschieden, und Peer ist zur Hochzeit nicht einmal eingeladen worden. Das behagt ihm nicht und er beschließt, unangemeldet hinzugehen, um die Feier zu stören. Damit Åse ihn am Besuch nicht hindern kann, erlaubt Peer sich einen Scherz mit ihr und setzt die Mutter kurzerhand auf das Dach des Hauses.
Zur Hochzeitsfeier ist auch Solveig - ein bescheidenes zurückhaltendes Mädchen - in Begleitung ihrer Eltern erschienen. Obwohl die Avancen Peers zunächst bei ihr keinen Eindruck machen, kommt es doch immerhin zu einem Pas de deux. Die Bauern sind guter Dinge und tanzen nach Herzenslust. Peer verdrießt es, dass Solveig nichts von ihm wissen will, und vor den Augen der Hochzeitsgesellschaft schnappt der Rüpel sich die Braut und entführt sie in die Berge. Lange halten die beiden es nicht miteinander aus, denn Peers unsteter Geist begibt sich auf Wanderschaft. Er verlässt Ingrid und gerät in das Reich der Trolle. Er trifft dort auf eine „Dame in Grün“ und schäkert mit ihr. Ihm ist nicht bewusst, dass er an die Tochter des Bergkönigs geraten ist und den Unmut der Trollwelt erregt hat. Peer versucht zu beschwichtigen, aber in der Halle des Bergkönigs ist man nur dann zur Versöhnung bereit, wenn Peer geneigt ist, auch ein Troll zu werden. Das würde bedeuten, dass ihm ein Auge ausgestochen wird und er sich einen Schwanz zulegen müsste. Dieser Spaß geht dem Abenteuerlustigen doch zu weit und ihm gelingt die Flucht.
Nun ist Peer in den Bergen allein mit seiner Einsamkeit und er entschließt sich, ein Haus zu bauen. Mit den Gedanken ist er bei Solveig, die ihn unerwartet besucht. Doch die „Frau in Grün“, die von Peer einen Sohn bekommen hat, lässt sich nicht abschütteln. Sie verspottet Solveig, welche darauf die Flucht ergreift.
Åse liegt im Sterben. Peer eilt an das Lager seiner Mutter und drückt ihr die Augen zu. Damit ist Norwegen für ihn vorerst erledigt.
Der Mittelteil des Balletts weicht von der Dramaturgie Ibsens ab, denn Peer Gynt begibt sich nicht nach Afrika, sondern ist überall und nirgends und baut sich eine abstruse Scheinwelt auf. Das Show-Theater hat es ihm angetan. In der Revue darf er vortanzen und wird - obwohl blutiger Anfänger – sofort genommen. Das Regenbogen-Sextett zeigt ihm die Zirkuswelt, während Peer im Film als Sklavenhändler agiert.
Bei einer Premierenfeier lernt er das Filmsternchen Anitra kennen und macht ihr Komplimente. Von Geburt eine Beduinentochter, versteht sie etwas von Bauchtanz. Ursprünglich war im Stück „Anitras Tanz“ eingebaut, doch weil sie es mit Peer nicht gut meint und ihn hintergeht, wird der Tanz wieder entfernt und im Ballett als Anhang ans Finale geklebt.
Warum sollte Peer nicht Kaiser der Welt werden, wenn seine Phantasie ihn in diese Richtung weist? Im Film bietet man ihm diese Rolle an. Bevor die Krönung stattfindet, kommt erst einmal der Tanz mit der Peitsche. Die Oper kennt die „Wahnsinnsarie“ und das Ballett den „Wahnsinnstanz“, der natürlich von Peer hingelegt wird. Peers Seele schwebt über dem Abgrund, denn er kann Schein und Realität nicht mehr unterscheiden.
Zwischendurch hatte sich Solveig, deren Auftritt von einer Orgel begleitet wurde, noch einmal in Erinnerung gebracht. Es geht in dem Ballett über das Leben von „Peer Gynt“ tatsächlich vom Hölzchen aufs Stöckchen. Den „roten Faden“ sucht der Besucher vergeblich und nach fehlenden Überleitungen muss er selbst suchen.
Peer ist alt geworden und innerlich zerrissen in das Land seiner Väter zurückgekehrt. Er macht sich Gedanken über den Sinn seines Lebens, welches ihm vorkommt wie eine Zwiebel. Erwartungsvoll entblättert er Häutchen um Häutchen, aber ein Kern will sich nicht zeigen. Das Lied vom Wind kommt ihm in den Sinn!
Ingrid ist inzwischen gestorben, aber Solveig hat auf die Rückkehr Peers gewartet. Zähne hat sie keine mehr, aber – nun einmal ehrlich – gibt es für eine Frau etwas Schöneres als ein ganzes Leben auf den Geliebten zu warten? Viel ist allerdings mit dem Entwurzelten nicht anzufangen. Er leidet an Wahnvorstellungen, er sieht sich von Doppelgängern umgeben und die “Grüne“ ist auch wieder da. Todessehnsucht umfängt den Weltenbummler.
Ein kurzes Glück ist Peer und Solveig noch beschieden. Für das Hinüberdämmern in eine andere Welt benötigt das Orchester etwa 20 Minuten. Wird der Rastlose im Jenseits endlich seinen Frieden finden?
Letzte Änderung am 27.7.2009
Beitrag von Engelbert Hellen