Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch (1906-1975):

Solotoi Wek [Золотой век]

deutsch Das goldene Zeitalter / englisch The Golden Age / französisch L'Age d'or

Allgemeine Angaben zum Ballett

Entstehungszeit: 1927-30
Uraufführung: 26. Oktober 1930 am Staatlichen Akademischen Theater in St. Petersburg (Choreographie: Wasili Wainonen)
Besetzung: Orchester
Spieldauer: ca. 140 Minuten
Verlag: Moskau: Dsch, 1995 (Klavierauszug)
Opus: op. 22

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[Details]
Das goldene Zeitalter (Ges.-Auf.) (Chandos, DDD, 93)
Dmitri Schostakowitsch (1906-1975)

Audio 6/94: "Getarnt mit beißendem Spott,frönt Schostakowitsch seiner Lust am Umgangmit der westlichen Unterhaltungsmusik der 20erJahre von Foxtrott bis Jazz. Sehr schön."

Zum Ballett

Art: Ballett in 3 Akten
Libretto: Alexander Iwanowski

Personen der Handlung

Die Diva
Der Kapitän der sowjetischen Fußballmannschaft
Ein Faschist
Ein Hindu
Ein afroamerikanischer Boxer
Das Kosmopol-Mädchen
Weitere: Fußballer, Provokateure, Spießer, Pioniere

Handlung

1. Akt:

ERSTE SZENE: Die Industrie-Ausstellung „Das Goldene Zeitalter“

Die Ehrengäste betreten im Walzertakt die Halle, in der industrielle Konsumgüter gezeigt werden. Die Ausstellung steht unter dem Motto „Das Goldene Zeitalter der Industrie“. Die Besichtigung der Vitrinen verursacht viel Lärm. Die Wichtigkeit der Ausstellung wird durch den Besuch einer sowjetischen Fußballmannschaft besonders betont. Ein Werbeagent hat sich als Hindu verkleidet und zeigt seine Tanzkünste. Abwechslung bringt anschließend ein simulierter Boxkampf. Es kommt zu Übergriffen, was den Auftritt der Polizei zur Folge hat.

ZWEITE SZENE: Ausstellungshalle

Der Tanz der „Goldenen Jugend“ bereitet eine Attraktion vor. Es ist der Auftritt der Diva. Das bezaubernde Adagio, welches von Saxophon und Violine vorgetragen wird und ihren Tanz einleitet, nimmt den Zuschauer gefangen. Endlich erscheint die sowjetische Fußballmannschaft. Die Diva freut sich am meisten und tanzt eine Variation. Der sowjetischen Teamleiter muss inständig gebeten werden, bevor er sich herablässt, mit der Diva einen Pas de deux hinzulegen. Ist sie ihm zu dekadent? Besonders gut setzt er seine Schritte nicht, denn die Diva wendet ihre Aufmerksamkeit bald dem Faschisten zu, der nicht weiß, was Disziplin überhaupt bedeutet. Der dunkelhäutige Amerikaner weiß es auch nicht, denn er fordert zwei sowjetische Fußballspieler zum Tanz heraus. Dann tritt ein Spion aus der „Goldenen Hand von Moskau“ auf und stiftet Verwirrung. Immer wieder gibt es Individuen, denen das gesellschaftliche System nicht gefällt und Steinchen ins Getriebe werfen. Er stößt mit den Faschisten zusammen, was eine Massenhysterie auslöst. Der Direktor der Ausstellung bringt seine Autorität zum Ausdruck und kann die Ruhe wieder herstellen.

2. Akt:

DRITTE SZENE: Eine Straße in derselben Stadt

Schon wieder sind Störenfriede am Werk, die nichts anderes als provozieren wollen. Ihre Festnahme beendet ihre Aktivitäten.

VIERTE SZENE: Das Sportstadion

Dem Aufzug der Arbeiter schließt sich der Tanz der jungen Pioniere an. Das Fußballspiel, welches nun vom Ballett aufgeführt wird, lässt keine Spielregeln erkennen. Da kein Schiedsrichter anwesend ist, werden Verstöße auch nicht gerügt. Spektakulär stellt man gesellschaftliche und kulturelle Differenzen spielerisch zur Schau.

Die Diva hat abgewirtschaftet. Die russischen Sportler werden nun von einem Kosmopol-Mädchen unterhalten. Die Kleine ist sehr lebhaft und nimmt es gleich mit vier Athleten auf. Die Mannschaften streiten und versöhnen sich. Der zweite Akt geht zu Ende und keiner weiß, wer das Spiel gewonnen hat. Verlängerung gibt es nicht!

3. Akt:

FÜNFTE SZENE: Die Musikhalle

Bevor die fünfte Szene beginnt, gibt es „Tea for two“, eine Einlage, die Schostakowitsch im Jahre 1928 unter der Bezeichnung „Tahiti Foxtrott“ vorab komponiert hatte. Kein Ballett ohne Divertissements! Der Komponist hält sich an alte Regeln und spinnt am Handlungsfaden nicht weiter. In bunter Reihenfolge werden Tänze unterschiedlicher Stimmungen und Regionen vorgeführt. Unglaublich: Man beginnt mit einem flotten Stepptanz, dem ein schwermütiger Tango folgt. Eine lustige Polka zieht einen feurigen Can-can nach sich. Was politische Deklamationen nicht vermögen - die Musik bringt die Klassen zusammen! Man gibt sich unendlich gerührt! Die Diva ist auch wiedergekommen und albert mit dem Faschisten herum. Es ist immer gut, wenn Faschisten tanzen, dann können sie keinen Unfug anzetteln.

SECHSTE SZENE: Gefängnis

Es startet eine Gefangenenbefreiung. Der Ballettbesucher fragt sich natürlich, wozu es gut sein soll, Gefangene laufen zu lassen. Waren die Leute etwa alle irrtümlich eingesperrt worden?

Eine Verschwörung kann nicht länger geheim bleiben, weil sie durch die Klugheit der Behörden aufgedeckt wird. Die Bürger sind erschrocken, dass es so etwas wie Verschwörungen überhaupt geben konnte. Langsam dämmert es den Naivlingen, wie wichtig ein staatlicher Geheimdienst, der zu seinem Schutz funktioniert, überhaupt ist. Die dissonanten Blechbläser demonstrieren, welcher Gefahr die Unbescholtenen entronnen sind. Man muss zusammenhalten - der abschließende Tanz der Solidarität verheißt eine hoffnungsvolle Zukunft.

Beschreibung

Aufgrund des blühenden Unsinns, der in seinen drei Ballettmusiken auf der Bühne zelebriert wird, hat Dmitri Schostakowitsch sich ein Leben lang vor der Öffentlichkeit geniert und jede Aufführung – was selten genug vorkam – mit Argwohn begleitet.

Dabei ist gegen die Musik nichts einzuwenden. Sie ist spritzig, kühn, abwechslungsreich und voller Spannung. Lediglich akustisch wahrgenommen, fühlt sich der Zuhörer von opulenter Klangpracht und tänzerischem Schwung wohltuend eingefangen.

Mit seinem Choreographen hatte der Komponist ständig Streit, weil dieser Probleme hatte, die Fülle des musikalischen Materials tänzerisch zu einer Einheit zu formen. Der schlechte Ruf, der den Balletten vorauseilte, bewirkte, dass sie die unbekanntesten Werke im Gesamtschaffen des bedeutendsten russischen Komponisten der Neuzeit blieben.

Nach dem Ableben des Künstlers wurde man mutig, weil man spürte, dass es hier eine Informationslücke zu schließen gab. Insbesondere der Dirigent Gennadij Roshdestwensky setzte sich in Stockholm für eine exemplarische Einspielung aller drei Ballette auf Tonträger ein. Die Verantwortlichen des Bolschoi- und des Marjinskij-Theaters änderten das Libretto völlig um, verlegten es teilweise in die Gegenwart und bewirkten zwar kein „Goldenes Zeitalter“, erreichten aber, dass die Bühnenwerke nicht in Vergessenheit gerieten. Der historische Rückblick schafft es mühelos, den Ballettbesucher zu erheitern. Der Besuch einer sowjetischen Fußballmannschaft in einer westlichen Stadt während einer Industrieausstellung unter dem Namen „Das goldene Zeitalter“ war seinerzeit tatsächlich eine Sensation.


Letzte Änderung am 10.11.2012
Beitrag von Engelbert Hellen