Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch (1906-1975):

Bolt [Болт]

deutsch Der Bolzen / englisch The Bolt / französisch Le Boulon

Allgemeine Angaben zum Ballett

Entstehungszeit: 1930/31
Uraufführung: 8. April 1931, Mariinski-Theater St. Petersburg, Dirigent Alexander Gauk
Besetzung: Orchester
Spieldauer: ca. 150 Minuten
Opus: op. 27

Kaufempfehlung

CD: Klassika CD-Kaufempfehlung bei jpc
[Details]
Der Bolzen op.27a (Ballettmusik) (Chandos, DDD, 94)
Dmitri Schostakowitsch (1906-1975)

Zum Ballett

Art: Choreographisches Schauspiel / Ballett in 3 Akten
Libretto: W. Smirnoff
Ort: Sowjetunion
Zeit: in den 1920er und 1930er Jahren

Personen der Handlung

Kyonka Gulla
Koselkow
Ein Zerstörer
Ein Schmied
Ein Bürokrat
Eine Leibeigene
Ein Priester
Eine Ästhetikerin
Ein Vermittler
Weitere: Kirchendiener, Oberingenieure, Techniker, Textilarbeiter, Putzfrauen, Frauen in schäbigen Mänteln, Junge Kommunisten und Pioniere, Die Rote Armee, Boris und Olga

Handlung

Im Rückblick als Glosse empfunden, dürfte der linientreue Dmitri Schostakowitsch zu Beginn der 1930er Jahre durchaus edle Absichten gehegt haben, die allerdings durch Beifall nicht belohnt wurden. Von der Sorgfalt, mit welcher der Komponist sich dem vaterländischen Thema widmete, zeugt allein schon die Länge seiner musikalischen Ausführungen. Er stellt die russische Gesellschaft so vor, wie sie sich sieht und wie er sie sieht. Den Menschen der unteren Schichten, die an ein System geglaubt und ihre Kraft und ihren Ansporn aus der Ideologie bezogen haben, gebührt in jedem Fall die volle Hochachtung.

Das Ballett hat einen roten Faden: Ein Übeltäter und Feind der Gesellschaft wird wegen Faulheit und Trunksucht aus dem Betrieb entlassen. Aus Rache verleitet er einen jungen Gesellen Goshka zur Sabotage. Er soll einen Bolzen in das Getriebe stecken, damit alle Maschinen stehen bleiben. Es passiert ein Unfall, und der junge Kommunist Boris wird fälschlich verdächtigt. Goshka sieht, was er angerichtet hat und bereut seine Tat. Lenka wird als Anstifter entlarvt und nach Sibirien geschickt. Aus Freude, dass die Ordnung wieder hergestellt ist, gibt die Rote Armee ein Konzert.

Ein wohlwollendes Lächeln kann man sich allerdings nicht verkneifen, wenn erst im dreizehnten Bild mit der Arbeit begonnen wird. Dem Geheimdienst wird kein Solo gewährt. Nein, er darf nicht einmal im Kollektiv auftreten. Nur so ist es zu erklären, dass sich in einem staatlichen Betrieb auch Raufbolde aufhalten dürfen - und das gleich in vier Bildern. Sogar ein Zerstörer, ein Priester und viele Kirchendiener verzögern einen produktiven Arbeitsablauf. Eine Leibeigene aus den Kolonien - bestimmt eine Mandeläugige, vielleicht eine Jakutin oder Korjakin - weist darauf hin, dass die Sowjetunion ein Vielvölkerstaat ist, in dem alle friedlich nebeneinander leben. Wenn auch dem Geheimdienst Lustbarkeiten wie Tanz versagt ist, so ist die Rote Armee gut drauf. Zahlenmäßig den Tschuktschen im Betrieb weit überlegen, tanzen ihre schmucken Jungens am Schluss des dritten Aktes bis zum Umfallen.

Szenenablauf:

OUVERTÜRE

Erster Akt:
1. Gymnastik
2. Aufbruch zur Arbeit
3. Szene der Lyonka Gulla
4. Aufbau der Maschinenpantomime
5. Pantomime der Oberingenieure, Techniker und Arbeiter
6. Auftritt des Koselkow
7. Mimiktanz der Putzfrauen
8. Die Abteilung füllt sich
9. Der Zerstörer
10. Der Bürokrat
11. Der Schmied
12. Auftritt der Mitglieder des Bundes junger Kommunisten und der Pioniere
13. Die Abteilung beginnt mit der Arbeit
14. Mimiktanz der Raufbolde
15. Pantomime der Raufbolde und Entrüstung der Arbeiter
16. Die Abteilung bei der Arbeit

Zweiter Akt:
1. Vorspiel. Ein Kirchendiener, ein Junge, Frauen in schäbigen Mänteln, ein Priester
2. Pantomime und Tanz des Priesters
3. Auftritt der Pilger
4. Tanz des Bundes Junger Kommunisten
5. Koselkows Tanz
6. Tanz der Frauen in schäbigen Mänteln
7. Tanz der Jungen
8. Tanz der Mitglieder des Bundes junger Kommunisten, Tanz des Kirchendieners und Szene der Pilger
9. Tanz der Raufbolde
10. Tanz der Raufbolde und Szene der Lykonia und des Priesters
11. Pantomime Koselkows und Pantomime von Boris und Olga
12. Tanz Koselkows und seiner Freunde

Dritter Akt:
1. Zwischenspiel
2. Arbeitsschluss
3. Bolzenszene
4. Marsch
5. Die Marineabrüstungskonferenz
6. Tanz der Ästhetikerin
7. Ein Vermittler
8. Tanz der Textilarbeiter
9. Tanz des Fuhrmanns
10. Tanz der Leibeigenen aus den Kolonien
11. Tanz der Jungen und Mädchen des Bundes Junger Kommunisten
12. Die Aufdeckung der Provokation
13. Die Rote Armee tanzt
14. Schlusstanz und Apotheose

Beschreibung

Von dem Ballett gab es nur eine Aufführung, wurde dann aus dem Programm genommen und nie wieder aufgeführt. Von niemandem geliebt, verschwand es in der Versenkung. Schostakowitsch war es recht, und er reagierte ziemlich kühl, wenn man eine konzertante Aufführung in Erwägung zog. Aus Verehrung für den Meister der Sinfonik holte der Dirigent Gennadi Roshdestvensky es aus der Versenkung hervor und brachte im Jahre 1995 das vollständige Ballett mit der Stockholmer Philharmonie zu Gehör.

Als der vielleicht prominenteste Komponist des zwanzigsten Jahrhunderts wird die Musikwelt darauf drängen, dass auch seine Ballette wieder zur Aufführung gelangen. Zeitlich entlegen, dürfte der politische Bezug verblassen und der kabarettistische Gehalt in den Vordergrund treten. Einer Rehabilitierung kann man durchaus Chancen einräumen.


Letzte Änderung am 10.11.2012
Beitrag von Engelbert Hellen